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[Karavelle]

Seefahrt im Golf

Reisebericht


Schiffsregister

Eine Schiffsreise über die Blutige See

-- von Marianne C. Herdt --

Prolog

Der folgende Text stammt aus den Aufzeichnungen eines garetischen Kriegers - einer von zahllosen Helden, die Jahr für Jahr ausziehen, um den Menschen in Beilunk und Ilsur im Kampf um ihre Freiheit beizustehen.
   Seine Reise  führt im Jahre 1025 n.B.F. (32 Hal) auf einer [lex8x10.gif]Karavelle von der darpatischen Hafenstadt [lex8x10.gif]Dergelmund-o.-d.-Meere nach [lex8x10.gif]Neukörne, dem größten Hafen der - damals noch - darpatischen Inselvogtei [lex8x10.gif]Efferdstränen. Von dort wird am Folgetag ein größeres Frachtschiff mit Hilfsgütern zur belagerten Stadt Beilunk in See stechen ...

 

1. Tag, Morgen: Abfahrt aus Dergelmund

Es hat geklappt! Endlich ist das Warten vorbei! Ich befinde mich jetzt an Bord der »Makrele«, ein Handelsschiff von irgendwo vom anderen Ende der Welt - den Namen seines Heimathafens habe ich glatt vergessen.
   Wie das Schiff den weiten Weg hierher geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Besonders vertrauenerweckend sieht das Ding nicht aus. Aber ich will nicht klagen, denn immerhin schwimmt es und ich komme endlich von Dergelmund weg und meinem Ziel näher.

Der nächste Hafen ist »Neu-Kerne« oder »Neu-Känne« - der Dialekt der Menschen hier ist manchmal schwer zu verstehen. Es soll eine große Hafenstadt auf den Efferds-Tränen sein, Inseln irgendwo gen Rahjam.

Eineinhalb bis gut zwei Tage, hat der Hafenmeister gesagt, dauert die Überfahrt. Je nachdem, wie das Wetter ist, ob sich der Kapitän auskennt und - man stelle sich vor! - »was passiert«.
   Gut 100 Meilen sollen es sein. Im Vogelflug. Die »Makrele« aber drückt sich an der Küste entlang. Der Kapitän hat wohl Angst vor den ach so gräßlichen Ungeheuern aus der »Blutigen See« ... Ich halte das meiste davon für übertrieben. Gesehen habe ich bislang noch nichts. Wirklich gefährlich wird wohl nur der Feind sein, den ich in Beilunk bekämpfen will.

Jetzt kommt wer. Leider habe ich auf diesem Kahn keine Kammer für mich alleine, nur die Hängematte bei der Besatzung. Wenn es wenigstens Krieger wären, Menschen, die mir in Mut und Kampfgeist ebenbürtig wären. Eine erniedrigende Situation!

 

1. Tag, Abend: Gen Trollnase

KaravelleEndlich habe ich wieder etwas Ruhe. Den ganzen Tag war ein hektisches Gerenne. Rein und raus ging's hier. Bei jeder Kleinigkeit hat eine Matrosin, wohl eine Vorgesetzte, den Kopf in die Luke zu unserer Unterkunft gesteckt und die Leute aus den Hängematten gescheucht, kaum, daß sie darin zur Ruhe kamen.
   Ich werde einfach nicht schlau aus ihren Rängen. Maat, Bootsfrau, Toppgast - diese Seefahrer sind wie ein eigenes Volk mit eigener Sprache. Und ungehobelt! »Stinkende Landratte« hat mich einer genannt, als ihm meine Waffen im Weg waren und er beinahe gestolpert wäre. Habe natürlich so getan, als hätte ich es nicht gehört und sofort mein Rüstzeug in Sicherheit gebracht, bevor es einer dieser Tollpatsche zerkratzt. Ich höre noch heute die Worte meines weisen Ausbilders, Ritter Hagens, in meinen Ohren: »Zwei Dinge schrecken den Feind: Ein blankes Schwert und eine blanke Rüstung!«

Der Kapitän hat mir nachmittags anhand seiner Karte erläutert, daß wir linker Hand die Küste von Arvepaß passiert haben und jetzt auf Trollnase zuhalten. Ehrlich gesagt, sieht für mich hier jedes Küstenstück wie das andere aus. Schroffe Felsen und dahinter endlose Wälder steil die Berge hinauf.
   Immerhin: diese Trollzacken scheinen doch wirklich hoch zu sein. Selbst jetzt, im Spätsommer, liegt noch Schnee auf den Gipfeln! Zuhause, im schönen Garetien ist alles viel flacher, überschaubarer ...

 

2. Tag, Mittag: Auf hoher See

In der Nacht wurde es stürmisch und ich habe kein Auge zugetan. Die Mannschaft wurde im Scheine des Madamals aus ihren Matten geholt, wohl, weil der Kapitän das Schiff von der Küste entfernen wollte. Jedenfalls ist die Küste heute morgen weiter weg und obwohl wir wohl nun auf »hoher See« sind, ist noch kein Ungeheuer zu sehen. Ich hatte also recht.
   Jetzt geht nur noch eine »gute Brise«. Wenn nichts »passiert«, wie sie sagen, kämen wir noch heute nach Neu-Kerne. Ich hoffe, sie haben recht.

Das Schwanken will mir nicht recht bekommen, weshalb ich das Morgenmahl, das aus einer Schale Brei, einem Kanten Brot und einer Lauchstange bestand, an meinen Nachbarn zur Rechten weitergegeben habe. Er hat es mit sichtlicher Freude und Dank angenommen. Jarst, so sein Name, kommt angeblich aus dem Kosch, sieht aber keinesfalls zwergisch aus. Vielleicht hat er einfach kein Zuhause, daß er sich solcherlei ausdenken muß. Ich habe getan, als ob ich ihm glaubte und ihn seinem Essen überlassen.

In Dergelmund war es schon schlimm mit der Seeluft, aber die Feuchtigkeit an Bord und die Hitze setzt meinem Rüstzeug arg zu. Das Praiosmal steht fast im Zenit und ich war schon dreimal mit Ölfläschchen und Lappen zugange, um Flugrost zu verhindern. Ritter Hagen wäre zufrieden mit mir.

 

2. Tag, Abend: Ankunft in Neukörne

HafenszeneEhrlich gesagt, war ich recht erleichtert, als wir im Licht des sinkenden Praiosmals die Efferds-Tränen leuchten sahen. Leider schien außer mir niemand ein Auge für die Schönheit dieses Anblicks zu haben.

Im letzten Licht des Tages sind wir dann in den Hafen von NEUKÖRNE eingelaufen. So heißt der Ort richtig. Wie es sich geziemt, habe ich natürlich Wappenrock und Rüstzeug angelegt. Es hat aber anscheinend niemand zur Kenntnis genommen.

Der Hafen ist eine sonderbare Sache: Die Götter haben es gefügt, daß eine Bucht weit in die Insel führt. Beiderseits ragen hohe Felswände aus hellem Gestein auf - ich denke, es werden an die 3, 4 Dutzend Schritt Höhe sein. Am Ende dieser Bucht führen mehrere Wege nach oben auf das Inselplateau, aber noch am Hafenbecken sind bereits viele Häuser neben- und vor allem übereinander in die Felshänge gebaut worden. Leider sind die Gebäude ziemlich heruntergekommen: Die Wappen und Zunftzeichen an den Hauseingängen künden zwar vom früheren Reichtum, aber überall bröckelt Farbe und Putz.
   Neben dem Ankerplatz der »Makrele«, einem langen Landesteg, der wie ein großer Schiffsrumpf gebaut ist, hat der Hafen an mehreren Stellen schmalen Kiesstrand, an dem malerisch bunte Fischerboote liegen. Fast scheint es, als ob die Boote Kinderspielzeug seien, mit solch kräftigen Farben und primitiven Symbolen sind diese Boote bemalt. Meine Wirtin sagte, die Symbole stellen die Namen der Boote dar. Als ich fragte, ob die Leute hier etwa nicht schreiben könnten, hat sie allerdings nichts mehr gesagt.

Meine Unterkunft ist einfach, aber sauber. Wenn mir der Weg nicht gewiesen worden wäre, hätte ich die Herberge sicher nicht gefunden, denn auch an ihr ist kein Schild mit Namen, sondern nur ein großes, gelbes Schneckenhorn angebracht.
   Das Essen war zwar stark gewürzt, aber sehr schmackhaft. Ich bin froh, daß ich es versucht habe, denn mir ist nun schon viel besser, die Übelkeit gänzlich verschwunden. Die Wirtin hat mir noch ein Büschel Kräuter neben den Napf gelegt und gesagt, ich solle es in mein Trinkwasser tun. Es würde gegen die Übelkeit und allerlei anderes Ungemach helfen. Ich halte das zwar für Aberglaube, aber höflicherweise habe ich die Kräuter eingesteckt.

Ich werde nun zur Ruhe gehen. Mein Schiff - ich habe es vor der Hafeneinfahrt ankern sehen, es ist wohl zu groß für den Hafen - geht morgen in aller Frühe.

 

3. Tag, Morgen: Abreise

Schiff auf ReedeDas neue Schiff heiß »Phexens Stolz« und ist wirklich prächtig anzusehen. Es hat zwei große und einen kleinen Mast und wehrhafte Aufbauten. Auf dem hinteren Aufbau steht sogar eine kleine Rotze! Ich glaube, es kommt aus Havena - oder stammte der Kapitän daher? Auf jeden Fall habe ich eine bessere Unterkunft, welche ich nur mit einem anderen Reisenden teilen muß. Er kommt aus Perricum und ich glaube, er hat Respekt vor mir und meiner Queste. Er selbst ist allerdings kein Krieger. Sein Kloster hat ihn beauftragt, sich um die Beilunker zu kümmern, deren Geist bei dem dauerhaften Belagerungszustand Schaden erleide. Arme Tröpfe müssen das sein, zu weich für solche Aufgaben. Es ist mir unverständlich, warum man solche Menschen nicht wegschickt!

 

3. Tag, Mittag: Unwetter

Die Angst der Seeleute vor ihren unsichtbaren Schreckbildern scheint stärker, als ich dachte. Während ich auf dem hinteren Deck einige Waffenübungen machte, konnte ich beobachten, wie sich nach und nach erschreckte Matrosen am Schiffsgeländer sammelten. Die Seeleute sagen übrigens »Rehling« dazu. Als ich meinen Blick ihren ausgestreckten Armen folgen ließ, sah ich lediglich eine eigenartig wellenlose Fläche im Wasser. Sie erstreckte sich in weitem Bogen von der rechten Seite bis vor das Schiff und erinnerte mich an unseren Dorfteich, bei dem an einigen Stellen Wasserpflanzen bis an die Oberfläche wachsen. Der Kapitän, den ich bisher nicht für schreckhaft hielt, ließ sich die Stelle zeigen und daraufhin sofort den Kurs ändern. Auf meine Nachfrage meinter der Lenker, wir würden damit nur einen halben Tag verlieren. Es ärgert mich, daß meine Queste immer wieder von solchen Nichtigkeiten behindert wird.

Das Wetter scheint schlechter zu werden. Noch während die Richtung geändert wurde, bedeckte sich der Himmel mit einer dichten Wolkendecke. Wie vor einem schweren Unwetter wurde das Licht immer fahler, sanken die Wolken immer tiefer. Ich habe daraufhin meine Übungen abgebrochen, um mein Rüstzeug nicht leichtsinnig etwaigem Regen auszusetzen. Außerdem gedenke ich stets Ritter Hagens Ermahnungen, vor Blitzen auf der Hut zu sein, wenn man in Eisen gewandet ist. Da mein Reisebegleiter noch immer auf Deck scheint, sitze ich nun hier im Kerzenschein und langweile mich etwas.

 

3. Tag, Abend: Gebet

Zwei Mann der Besatzung sind tot. Ich kann es noch immer kaum glauben, was passierte, fast scheint es, als ob einige der Schauergeschichten über das Meer der Wahrheit entspringen.

Nur wenige Rondra, führ' mich voran später gab es einen großen Tumult über mir. Noch im Übungszeug und mit blankem Schwert stürmte ich nach oben, einen Kampf erwartend. Als ich aber auf Deck anlangte, sah ich keinen Kampf, nur stürzendes Holz, Tuch und Stricke. An mehreren Stellen lagen verwundete Seeleute, während sich andere eifrig mühten, das Schiff zu mehr Fahrt zu bewegen. Inmitten des Getöses und Gewimmels standen der Kapitän und seine Offizierin, brüllten Befehle und ruderten mit den Armen. Ich vermutete einen Geschützangriff von einem fremden Schiff, sah aber ringsum nur Wasser. Dann fiel wieder Holz herab, nur wenige Fingerbreit vor mir.
   Ich sah den Mast vor mir hinauf und erschauderte: Herr Efferd sei mir gnädig, es waren die Wolken! Wie mit gepanzerter Faust umschlossen sie die Stangen und Seile, zermalmten sie zu einem wirren Knäuel, ließen sie dann gleich einem achtlosen Kind fallen, um sich den verbleibenden Stümpfen zuzuwenden. Wie kann das sein? Zürnte uns Herr Efferd? Oder war es Dämonenwerk, wie alle anderen sagen?
   Nun, da wir der Gefahr entronnen scheinen, bewundere ich den Kapitän für sein Geschick. Obgleich das Schiff nur mehr halbe Masten hat, brachte es der Mann mit eiserner Ruhe aus der tödlichen Umklammerung. Ich gestehe, daß ich mir dabei recht hilf- und nutzlos vorkam.

Das Schiff macht wegen seiner Schäden kaum noch Fahrt, so daß wir wesentlich länger unterwegs sein werden. Darüber hinaus scheint auch unsere Position unklar - zumindest deutete der Lenker, nein, der »Steuermann« solches an.

 

4. Tag, Vormittag: Flaute

Ich beginne mich zu sorgen, ob vielleicht meine Queste den Göttern nicht gefallen mag. Es scheint, als würde alles daran arbeiten, meine Ankunft in Beilunk zu behindern.
   Der Tag begann mit Windstille, sogenannter »Flaute«, welche uns auch jetzt noch plagt. Das Praiosmal ist nicht zu sehen, auch kein Horizont, milchweiß liegt der Himmel über und um uns. Wir müssen aber in der Nähe von Land sein, denn hin und wieder werde ich von Mücken geplagt.
   Mein Reisebegleiter ist nicht wieder aufgetaucht. Niemand weiß, ob er über Bord gefallen oder von den Wolken ... ich mag nicht daran denken. Ich habe seine Habe durchsucht, um herauszufinden, wohin sie geschickt werden soll. Ich habe nichts gefunden. Perricum soll eine große Stadt sein und ich kenne den Namen seines Klosters nicht. Was soll ich tun? Ich weiß es nicht. Es ist drückend heiß und ich werde schläfrig.

 

4. Tag, Mittagszeit: Schwüle

Als ich erwachte, war ich schweißgebadet. Ich mußte mein letztes sauberes Wams anlegen, denn obwohl es immer heißer wird, fröstele ich hin und wieder. Ein eigenartiges Wetter. Ich werde nach oben gehen und hoffe, daß mir die Bewegung guttut.

 

4. Tag, Abend: Wind

Gegen Nachmittag kam endlich wieder Wind auf. Soweit möglich wurden Segel gesetzt, so daß wir nun etwas Fahrt machen. Der Steuermann hat inzwischen unsere Position bestimmen können: rund 70 Meilen gen Rahjam von der Bucht vor Beilunk. Alles wird nun gut werden!
   Meine Glieder schmerzen, als ob ich einen Übungskampf hinter mir hätte und ich bin erhitzt. Das muß von den Mückenlarven kommen, die der Koch im Trinkwasser gefunden hat, denn auch einige Seeleute klagen über die Ungemach. Ich habe die Kräuter, die mir die Wirtin in Neukörne gab, in mein Wasser gesteckt. Schaden kann es wohl nicht und vielleicht hilft es tatsächlich.

 

4. Tag, Nacht: Stille

Ich habe ein wenig geschlafen, bin aber von einem heftigen Traum wieder erwacht. Etwas, das ich nicht sehen konnte, aber eindeutig böse war, griff nach mir, schien etwas aus mir herauszureißen. Ich schrie vor Pein - und erwachte ... Ob das etwas zu bedeuten hat?
   Das Wasser schmeckt nun tatsächlich besser und erfrischt bei jedem Schluck. Falls ich die Wirtin je wiedersehe, muß ich ihr danken!
   Oben auf Deck wird offenbar noch an den Masten gearbeitet. Ich höre die Schritte der Matrosen, obwohl sie versuchen leise zu sein, wohl um ihre Kameraden nicht zu wecken.
   70 Meilen und mit jedem Herzschlag weniger ... Ich sehne mich nach einem richtigen Kampf mit richtigen Waffen, gegen Feinde, die man greifen und begreifen kann!
   Eigenartig. Plötzlich, von einem Moment auf den anderen ist es ganz still geworden! Ich werde nachsehen!

 

Epilog

»An dieser Stelle enden die Aufzeichnungen. Was passierte dann?«

»Als ich die Treppe zum Deck hinaufstieg, sah ich zuerst die Leiche eines Seemanns. Man hatte ihm die Kehle durchschnitten. Dann sah ich die Piraten, Dutzende, wie sie lautlos auf die Niedergänge zu den Mannschaftsquartieren zugingen. Überall lagen bereits Tote! Und neben dem Schiff etwas, das nur entfernt nach einem Schiff aussah, eher nach etwas Wucherndem, Narbigen. Wie eine mißgestaltete Pflanze

»Ein Dämonenschiff ...«

»Möglich. Irgendjemand muß wohl noch am Leben gewesen sein, denn er schrie 'Piraten! Wacht auf!', aber es war zu spät. Sowie jemand versuchte, herauszukommen, hieb man schon auf ihn ein. Ein widerliches Gemetzel!
   Eine Piratin, wohl die Anführerin, fiel mir besonders auf. Es machte ihr offenbar große Freude, ihre Gegner wortwörtlich kleinzuhauen, denn sie lachte dabei immerzu. Wenn sie dann endlich von ihrem Opfer abließ, winkte sie zwei Diener zu sich, das Deck zu säubern. Sie wirkten seltsam teilnahmslos und bewegten sich wie mit Mühe.«

»Untote?«

»Ich weiß nicht. Ja, vielleicht. Untote ... - das würde erklären, warum sie so ... zerfressen aussahen!«

»Und Ihr bliebt verschont?«

»Nein, natürlich nicht. Sie schienen mich irgendwie riechen zu können. Ich habe versucht, mich lautlos in einer dunklen Ecke unter einem Aufgang zu verstecken - nicht, daß ich feige bin, aber gegen eine solche Übermacht ...«

»Ihr seid gewiß nicht feige.«

»... jedenfalls lief ein Matrose an mir vorbei, verfolgt von zwei Piraten. Einer blieb sofort stehen, sog die Luft ein und wandte sich meinem Versteck zu. Ich sah seine Augenhöhlen, als er zu mir ins Dunkel starrte, versteht ihr, nicht seine Augen, sondern leere Höhlen! O Götter!«

»Beruhigt Euch! Ein Untoter?«

»Nein, ich glaube nicht.
   Ich stieß ihm mit aller Kraft mein Schwert in die Brust und er blutete wie es jeder normale Mensch tun würde. Aber obwohl er dann lautlos zusammensackte, kamen sofort weitere Piraten.
   Jetzt brauchte ich mehr Bewegungsfreiheit. Also sprang ich aus meinem Versteck und zeigte ihnen, was ich bei Ritter Hagen gelernt hatte! Nacheinander stürmten fünf Piraten auf mich ein und nacheinander hieb ich sie nieder. Dann aber griffen drei weitere gleichzeitig an. Dem ersten habe ich den Kopf vom Rumpf getrennt, dem zweiten den Schwertarm. Der dritte aber brachte mich ernsthaft in Not: Ich blutete bereits aus mehreren leichten Wunden, als mir klar wurde, daß ich keine Rüstung trug.«

»Also sprangt Ihr ins Wasser?«

»Was hätte ich tun sollen? Es waren zu viele! »Sterben oder Siegen!«, das sagt sich zu Hause noch leicht, aber in diesem Moment wählte ich das Leben!«

»Ein weiser Entschluß. Ihr habt damit nicht nur Euer Leben, sondern auch Eure Seele gerettet!«

»Ich hoffe.
   Jedenfalls trieb im Wasser ein Lukendeckel, auf den ich sofort draufkletterte. Glück im Unglück, denn sonderlich gut schwimmen kann ich nicht. Auf ihm bin ich dann immer weiter vom Schiff weggetrieben.
   Ich dachte schon ich wäre als Einziger entkommen, als ich Rufe hörte. Es ging schon auf Morgen zu und im ersten Licht sah ich etwas ab von mir zwei Matrosen an ein Stück Mast geklammert. Wir sind aufeinander zu gepaddelt und haben aus dem ganzen Zeug, das ringsum im Wasser trieb, ein Floß gebaut.«

»Und seid damit an die Küste.«

»Ja. Als wir an den Strand kamen, stand dort aber schon jemand. Wir riefen und winkten, und tatsächlich hat die Gestalt zurückgewunken. Meine Begleiter sprangen sofort ins Wasser, kaum, daß es hüfthoch war und rannten froh auf die Gestalt zu. Ich weiß nicht, warum, aber ich zögerte. Und tatsächlich, kaum daß einer der Matrosen in Reichweite war, hob die Gestalt einen Knüppel und schlug ihm den Schädel ein. Einfach so!
   Ich eilte natürlich sofort dem anderen Matrosen zu Hilfe und gemeinsam haben wir dieses - Wesen erschlagen. Ich habe nie etwas Widerlicheres gesehen! Das Ding trug nicht nur vergammelte Kleidung, es war blaßgrün und aufgedunsen, es war selbst vergammelt

»Hier, trinkt noch etwas vom Aufguß! Er wird Euch gut tun ... Wie ging es weiter? Was ist mit dem anderen Matrosen?«

»Wir suchten uns eine Höhle, in der wir auf unsere Rettung warteten. Leider hatten wir weder Waffen, noch Essen, noch gab es Frischwasser. Nach ein paar Tagen waren wir so schwach, daß wir uns nur mit Mühe aufrecht hielten. Mein Leidensgenosse begann, Gräser und Zweige zu essen und Meerwasser zu trinken. Ich wollte nicht, denn der Gedanke, etwas aus dieser pervertierten Natur zu mir zu nehmen, war zu ekelhaft.
   Bald begannen wir uns zu streiten. Er sah immer öfter Dinge, die ich nicht sehen konnte, dann wollte er den Rauch eines Dorfes erkannt haben. Ich sah davon einfach nichts! Wir trennten uns schließlich im Zorn. Er ging ins Landesinnere und ich blieb bei der Höhle. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, daß ich dem Durst nachgab und mich doch ans Meer schleppte, um zu trinken ...«

»Wo man Euch auch fand. Die Götter haben ihre Hand über Euch gehalten.
   Ein Handelsschiff hat das treibende Wrack eures Schiffes gefunden. Obwohl es geplündert war, fand man noch verschiedene Aufzeichnungen, darunter auch Eure. Die Kapitänin schloß sofort auf einen Piratenüberfall. Da niemand mehr an Bord war, ging man davon aus, daß Mannschaft und Passagiere die Flucht ergriffen hatten. Deshalb segelte man nahe der Küste, um nach Überlebenden zu suchen.«

»Und fand nur noch mich?«

»Ja.«

 

 

Hoch

Impressum -- Text © 2002 Marianne C. Herdt, Tübingen. Layout © M. C. Herdt. Letzte Änderung: Mittwoch, 26. Dezember 2007.