[Der Darpatische Landbote]Numero 7 (Phe. 1021 n.B.F./28 Hal/Sep. 1998), S.8

Gluckenhang

Literaturliste


Manöver in Gluckenhang

- Von Friederike Stein -

Kurzinformation:
Ort:Baronie Gluckenhang
Zeit: 28 Hal
Personen:
- Ferliande vom Walddorf, genannt »Ferle«
- Arke
- Rargulf Schwarzacker, Jäger der Baronin
- Eine Elfin
- sowie weitere Personen am Rande

Burg Gluckenhang war geschäftig wie ein Ameisenhaufen. Die Frau Baronin hatte schon vor Monaten die Wachen verstärken lassen, und an den Befestigungen wurde immer noch gebaut. Ferle war stolz. Richtig - richtig »burgig« wurde die Burg. So, wie sie sich das vorgestellt hatte, wenn ihre Großmutter die alten Geschichten erzählte.
   Als sie dann das erste Mal »auf  den Gluckenhang« geschickt worden war, war sie bitter enttäuscht gewesen. In der ersten Nacht in dem zugigen, kalten Schlafraum hatte sie geweint. Nicht wegen der Kälte - ihre Decke hielt sie warm genug - sondern weil sie so enttäuscht war. Sie hätte doch weglaufen sollen. Nach Rommilys, nach Perricum, nach Gareth - das waren große Städte, wußte Ferle, groß und prachtvoll, und selbst die Soldaten trugen silberne Sporen. - Aber dann war das alte Efeu von den Mauern gerissen, die Wehrgänge neu gedeckt worden. Und sie hatten alle ihre eigenen Säbel bekommen, nicht mehr nur die Übungs - und Paradierwaffen.

Und jetzt war sie ausgewählt worden, sie, Ferliande vom Walddorf, bei diesem »Manöwer« mitzumachen. Sie und Arke, der schon eine Familie hatte, sie sollten die Burgmannschaft vertreten. - Selbst die Schnallen an ihrem Waffenrock hatte sie bis spät in die Nacht poliert.
   Erhobenen Hauptes schritt sie an den Arbeitern vorbei. Bauernvolk! Sie wußte nicht, was ein »Manöwer« war, aber es war etwas Besonderes. Es war eine Auszeichnung, daran teilnehmen zu dürfen. Sie würde sich »tapfer schlagen«, wie ihr die Mutter zum Abschied gesagt hatte. Am Ende würde sie dastehen, in vorderster Reihe, und die Frau Baronin selber würde sie loben und vielleicht gar zur Weibelin machen  ...
   Um ein Haar wäre sie gestürzt, als sie in den Pferdeapfel trat. Ein paar Bauern in der Nähe lachten. Ferle ging weiter, als sei nichts geschehen, aber sie fühlte, wie sie rot anlief. Verstohlen streifte sie den Dreck von den Stiefeln und belegte das Bauernpack in Gedanken mit den übelsten Schimpfnamen. Da ertönte das Horn.

Eine Elfe! Sie konnte es nicht fassen. Keine Oberste. Keine »Kavalkade«. Kein schneidiger junger  ... (Ferle wurde wieder leicht rot.) Eine Elfe! Sollten sie bei der vielleicht fliegen lernen? Oder zwitschern wie die Vögel?
   Oja, sie kannte Elfen, aus der kleinen Au-Siedlung kamen sie manchmal, um ihre Fische und Binsentaschen einzutauschen gegen Töpfe, Messer oder bunte Stoffe. Ihr kleiner Bruder bewunderte sie - wegen ihrer Zauberei, nicht etwa wegen ihrem gertenschlanken Wuchs oder ihrer langen seidigen Haare. Und er spielte dann immer tagelang »Zaubern«. Aber wenn sie ehrlich war, hatte sie noch nie einen Elf richtig zaubern sehen. Vielleicht war auch das nur so ein Märchen wie vom Elbenraan. - Und jetzt kam eine Elfe und sollte ihnen was beibringen! Eine Elfe, die nicht einmal in Bausch und Seide gekleidet war. Keinen Langbogen über der Schulter trug. Kaum Gefolge hatte. Ferle tat es um das Stroh leid, mit dem sie sich die Stiefel abgewischt hatte. Von der schlaflosen Nacht ganz zu schweigen.

Am Nachmittag wurden sie zusammengerufen. Die Frau Baronin schritt mit ihrem Gast die Reihen ab. Die begutachtet uns wie Vieh, diese Elfe; gleich läßt sie sich das Gebiß zeigen. Ferle erinnerte sich an Viehmärkte. Und den Ausspruch ihrer Mutter: »Gutes Matterjahl«, hatte sie immer gesagt, wenn sie eine besonders kräftige Kuh sah, »Gutes Matterjahl.« Und »gutes Matterjahl« waren auch sie, die Bauern und Wachleute, die hier aufgereiht standen. Sogar einer aus den Auen und zwei aus dem Strohpalt waren dabei. Arke und sie waren wohl die einzigen, die eine echte Kampfausbildung erhalten hatten, aber zuschlagen konnten auch die anderen, mit Knüppeln und mit Fäusten, und manche sogar mit den Säbeln und »Kurzschwertern«, die ihnen zugestanden wurden.
   »Sie sollen kämpfen«, hörte sie die Elfe sagen, »ich will sehen, wie sie kämpfen.« Selbst die Frau Baronin schien kurz überrascht zu sein, dann nickte sie.

Als Ferle verschwitzt in ihr Quartier wankte, haßte sie die Elfe. Und Arke. Der hatte richtig ernst gemacht. Wollte sich wohl hervortun vor dieser - dieser  ...

Es war stockdunkel und eiskalt. Ein Horn tönte. Immer noch. Hohl und düster, dann wieder abgehackt. Langsam sickerte das Signal ein. - Ferliande stand kerzengerade - ein paar hektische Handgriffe - sie war eine der ersten auf dem Platz. Tausend Mal war dieses Signal ihnen vorgespielt worden. Tausend Mal bei Übungen. Tausend Mal bei Belehrungen. Und jetzt - wie oft hatte es gerufen? Zu oft? Zu spät? Jetzt war keine Übung! Der Feind war da!!

Als sie später am Tage in den Wald stapften, haßte Ferle die Elfin noch mehr.
   »Es hätte Ernst sein können«, hatte sie gesagt und, vage zu den Höhen der Zacken deutend, »Ihr habt einen ruhigen Schlaf, dafür, daß der Schwarze Feind schon da oben steht!«

Mürrisch folgte Ferle den Belehrungen der Elfe.
   »Auch wenn Schnee liegt, kann so ein umgestürzter Baum euch noch Unterschlupf bieten. Und euch vor Spähern schützen. Ein paar Zweige  ...«
   Arke hatte sich ganz nach vorne gedrängt und hing der Elfe förmlich an den Lippen. Das hätte sie nicht gedacht, nicht von ihm - sich so einer anzubiedern. Die kannte ja nicht mal den Glaukenfall! Rargulf hatte sie hierhin geführt, der Jäger der Baronin. Der stand jetzt abseits und beobachtete die Umgebung. Ferle schob sich näher an ihn heran.
   »Was meint Ihr, Herr Schwarzacker, wird ...« Sein Stirnrunzeln ließ sie verstummen.
   Als es bald darauf weiterging, wandte Rargulf Schwarzacker sich nur kurz zu ihr um: »Die ist gut. Kann uns 'ne Menge beibringen. Solltest auch deine Ohren aufsperren.«

Ferle hatte es geahnt: kampiert wurde im Wald. Und jeder einzelne wurde von der Elfe zu irgendetwas befragt.
   »Wie erkennt man die Himmelsrichtungen, junge Frau?« Ferle war gerade dabei, ihre Decke aus dem Rucksack zu zerren.
   »Am Moos an den Stämmen.« Ruppig und kurz angebunden. Sowas wußte sie auch so! -
   »Ja, aber nur bei einzeln stehenden Bäumen!«

Am nächsten Tag regnete es. Ferliande wurde abends zum Feuermachen abgestellt. Nach einer Weile half ihr Rargulf. Es qualmte furchtbar, und selbst der Jäger mußte husten. - Zitternd steckte ein Pfeil neben ihm im Boden.

Kein Pfeil, ein angespitzter Stecken. Auf einmal stand die Elfe da und zertrat das Feuer. Ferle verstand selbst ihr Schweigen:
   »Das hätte der Feind sein können. Dein Feuer qualmt erbärmlich. Und wenn die anderen husten müssen  ...« In der Dämmerung fing sie noch den Blick des Jägers auf - er zuckte grinsend die Schultern.
   Eine halbe Ewigkeit später scharten sich alle um drei kleine Feuer. Als Ferliande etwas abseits trat, um ihre Notdurft zu erledigen, staunte sie, wie dunkel es dort war und wie wenig man die abgeschirmten Feuer sah.

Die Kälte weckte sie. Die Feuer waren nur noch Häuflein kalter Asche, Decke und Kleider klamm. Ferle hörte, daß auch andere unruhig wurden. Auf einmal bemerkte sie einen leichten Lichtschein zwischen den Büschen. Vorsichtig schlich sie sich hin. Eine deckenumhüllte Gestalt saß an einem kleinen Feuer, den Rücken zu ihr.
   »Komm, setz dich!« Es war die Elfe, und sie hatte sie natürlich längst gehört. In einem metallenen Topf zog Kräutertee, an schräg übers Feuer gesteckten Ästen buken Teigrollen. Dankbar schlürfte Ferliande von dem heißen Tee.

Als alle versammelt waren, wies die Elfe sie gemeinsam mit Rargulf ein: erst sollten sie anderthalbtausend Schritt nach Norden gehen, dann am runden Felsen in das Waldtal hinabsteigen, dann  ... Dann war die Elfe verschwunden.
   »Na, denn los!« Ferle war erleichtert, nicht führen zu müssen, sie wußte nicht einmal genau, wo Norden war.

Nach sechs Stunden hatten sie sich heillos verlaufen. Kein »hohes Farnkraut«, kein »Nadelfelsen«, kein »Waldbach«. Nicht einmal Ferle aus Walddorf wußte mehr, wo sie waren. Und dieser Rargulf lehnte nur an  einem Stamm und grinste!
   Dann aber half er ihnen. - Das »hohe Farnkraut« war jetzt natürlich welk und vom ersten Schnee zu Boden gedrückt worden. Der »Nadelfelsen« war gar kein Problem, wenn man sich an den ebenfalls erwähnten Baumstubben hielt, und ein »Waldbach« konnte auch ein kleines Rinnsal sein, unter Ästen und Laub verborgen. Endlich machten sie Rast.

Es war schon lange dunkel, als sie, vom Jäger geführt, den Treffpunkt erreichten.
   »Ihr verlangt viel von Leuten, die vor einer Woche noch ihr Feld umgegraben haben«, Ferle meinte einen tadelnden Unterton in der Stimme Rargulfs zu hören. Die Elfe zuckte die Schultern und schenkte ihm Tee ein.
   »Besser sie lernen's so als wenn die Kreaturen hinter ihnen her sind.« Ferle schauderte unwillkürlich und schrak zusammen, als draußen im Wald ein Zweig knackte. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Was hatte der alte Fuhrmann in der Kneipe gesagt? - »In Zackenberg wurde schon gekämpft.« Zackenberg! Das waren 10 Meilen Vogelflug von Walddorf.

Die nächsten Tage erschienen Ferle weniger hart, und die Erklärungen der Elfe brannten sich in ihr Gedächtnis wie Brandzeichen in die Haut eines Rindes. Wie man Eßbares selbst im Winter findet, wie man leichte Verletzungen pflegt und verbindet (»Dünkt euch nicht heldenhaft, wenn ihr die Zähne zusammenbeißt! Eine aufgescheuerte Stelle kann euch am Laufen hindern, eure Parade einen Augenblick zu langsam machen. Diese kleine Stelle kostet euch und euren Kameraden das Leben!«) und was man im Falle schwerer Wunden tut.
   Selbst Kleinwild durfte gejagt, sogar ein paar Schlingen gelegt werden. Nicht ohne Stirnrunzeln des barönlichen Jägers. Die Elfe zuckte wiederum nur die Schultern. Umso eindringlicher waren ihre Ermahnungen, sich dem, »den ihr Firun nennt«, gefällig zu zeigen.
   »Wer ein Tier todwund schießt und nicht alles daran setzt, es zu erlösen, den treffe der Fluch des Waldes. Wer ein Tier unnötig quält, mit Fallen lässig umgeht oder sie im Wald läßt, wenn er sie nicht braucht, den trifft der Fluch des Waldes!«
   »Oder meiner«, grollte der Jäger leise.

Einen Tag hatten sie frei. - Bis weit in den Suderfall waren sie gekommen, und Rargulf leitete sie in das Dorf Brosen. Das war zwar Junkerland, aber man nahm sie freundlich auf. Staunend lauschten die Dörfler den Geschichten des »Spähtrupps«, und nur Rargulfs gelegentlicher Blick hielt die Erzähler etwas im Zaum. Die Elfe war im Morgengrauen davongeritten.

Was dann folgte, ließ die Leute die Vorwoche erscheinen wie unbeschwerte Kindertage. Endlich bekamen sie die ersehnte Kriegsausbildung, mit der jeder schon geprahlt hatte.
   Aber es wurden keine hehren Recken aus ihnen, sondern schlammverkrustete, müde, frierende Elendsgestalten, die die Elfe aufeinanderhetzte wohlweislich nur mit Übungswaffen und Tannenzapfen ausgerüstet. Dazu kamen ihre Erzählungen von Greueln, Untoten und anderen Kreaturen des Grauens, die jeder zuvor für reine Phantasiegestalten gehalten hatte, bis einige fast nicht mehr schliefen oder auf Zweige einschlugen, die sich im Wind bewegten.

Ferle kamen die wenigen Tage vor wie Wochen. Sie waren an der Front. Sie waren abgeschnitten von dem Land, das sie kannten, gehetzt von entsetzlichen Kreaturen, die im nächsten Dickicht lauern konnten. Die letzten, die ihrem Land die Warnung vor dem großen Angriff überbringen konnten - wenn sie durchkamen.
   Dann verschwand die Elfe, dann Rargulf. Sirte stürzte und verstauchte sich den Knöchel - keiner dachte daran, sie zurückzulassen und Hilfe zu holen, abwechselnd trugen sie sie, über Stock und Stein. Der alte Ortan kam eines Morgens nicht mehr hoch - sie banden Äste zusammen und zogen ihn darauf hinter sich her. Einige schürften sich die Haut an Felsen auf es war Ferle, die das heilende Moos fand und kundig auflegte.
   Als sie am Abend vor dem düsteren Trollhof standen, hätten sie sich fast wieder in den Schutz des Waldes zurückgezogen, um dort zu kampieren. Da traten Rargulf und die Elfe auf sie zu und führten sie an ein großes prasselndes Feuer, an dem schon Fleisch briet. Und - »Bier!« staunte Arke fast ehrfürchtig und sank vor dem großen Faß auf den Boden.

»Ihr habt euch gut geschlagen. Ihr habt eure Kameraden gerettet und euer Land gewarnt - ihr hättet es geschafft, wenn es ernst gewesen wäre. Ich habe mit den Kreaturen gekämpft, und ich sage euch: sie sind nicht unschlagbar. Jetzt geht zu euren Freunden und Familien und Kameraden und zeigt ihnen, was ihr gelernt habt. Ihr könnt euer Land schützen! Gloria Darpatia!«

»Arke?«
»Hm?«
»Glaubst du, wir waren wirklich gut? Glaubst du, wir könnten es schaffen?«
»Ich weiß nicht. Sie wollte uns wohl Mut machen. Aber ich glaube, wir können es schaffen. - Was sonst soll ich glauben?«

Hoch

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